Für Unternehmen sind Chats die schnellste, günstigste und persönlichste Methode, mit Kunden in Kontakt zu treten. Während die ersten Erfahrungen mit Chatbots noch einige Wünsche offen ließen, können sie heute dem Einzelhandel, dem Bankensektor und dem Gesundheitswesen helfen, bis 2023 jährlich elf Milliarden Dollar einzusparen.

In folgendem Gastbeitrag nimmt Sie Conor O’Driscoll, Vice President of OTC Platform bei Devexperts mit auf eine Reise – von der Entwicklung des ersten Chatbots bis zum heutigen persönlichen Assistenten für Online-Broker.

Chatbots gelten in gewisser Hinsicht als Stiefkinder der künstlichen Intelligenz. Viele Menschen empfinden sie nur als lästige Automaten, bei denen sie auf der Suche nach einem Ansprechpartner aus Fleisch und Blut landen. Doch die ersten Praxiserfahrungen mit Chatbots lassen noch Wünsche offen. Dennoch entwickeln sie sich schubweise weiter – heute können sie viel mehr als nur den FAQ-Bereich ersetzen.

Chatbots haben bereits eine interessante Geschichte hinter sich. Ein kurzer Ausflug in die Vergangenheit:

Bescheidene Anfänge: Turing-Test
Chatbots existieren seit den Anfängen der KI-Forschung. Der Mathematiker und Computerwissenschaftler Alan Turing stellte bereits 1950 den berühmten Turing-Test vor. Dieser sollte bei der Einschätzung helfen, in welchem Maße Maschinen eine dem Menschen gleichwertige Intelligenz aufweisen können.

Die Versuchsteilnehmer führten dabei per Texteingabe Gespräche mit Computerprogrammen. Ein Beobachter verfolgte diese Konversationen, ohne zu wissen, bei welchem Teilnehmer es sich um den Menschen und bei welchem es sich um den Computer handelte. Konnte der Computer dieser Person weismachen, er sei der menschliche Gesprächspartner, hatte er den Turing-Test bestanden.

Ein großer Schritt: ELIZA
Zu den ersten Chatbots zählte der Versuch, die Herausforderung des Turing-Tests zu bestehen. Der Name des Programms: ELIZA. Die treibende Kraft dahinter war Joseph Weizenbaum, der ELIZA 1966 am MIT entwickelte. ELIZA gilt als Urgroßmutter jener Chatbots. Sie konnte ein Gespräch führen, das einer menschlichen Konversation erstaunlich ähnelte, und zwar ohne Informationen über das menschliche Universum oder die Fähigkeit, dieses zu begreifen.

Weizenbaum entwickelte ELIZA auch als Kritik am Turing-Test, da er davon ausging, dass der Test durch clevere Ingenieure manipuliert werden könne. ELIZA suchte nach Schlüsselwörtern in den Sätzen ihrer Gesprächspartner, ordnete sie nach Bedeutung und lieferte dann – auf Grundlage eines Skripts – eine entsprechende Antwort.

Eines der ELIZA-Skripte war nach einer Methode aufgebaut, mit der der Psychologe Carl Rogers mit seinen Patienten kommunizierte. Wie ein Psychoanalytiker entlockte ELIZA ihren Gesprächspartnern Informationen und hielt die Unterhaltung durch offene Fragen aufrecht.

Die Bots von heute: KI-gestützte Assistenten
ELIZA und andere Chatbots dieser Generation konnten nur mit Tricks arbeiten. Für die Bots von heute haben sich die Bedingungen stark verändert: Mittlerweile gibt es Big Data und eine fast durchgehende Vernetzung. Die Fähigkeit, die Bedürfnisse von Menschen zu verstehen und diese zu erfüllen, gilt als enorm hohes Gut.

Chatbots oder KI-unterstützte, intelligente Assistenten sind momentan sehr begehrt: Laut Statistikportal Statista sind Facebook Messenger, WhatsApp und WeChat derzeit die drei am weitesten verbreiteten Messaging-Apps der Welt. Sie sind nicht nur beliebter als andere Chat-Apps, sie werden darüber hinaus bald die beliebtesten Apps überhaupt sein.

Im Jahr 2018 wertete Apptopia App-Sitzungsdaten aus aller Welt aus. Nur China und weitere Länder, die Android-App-Stores von Drittanbietern nutzen, fanden keine Berücksichtigung. Die Ergebnisse zeigten, dass die User über einen Zeitraum von drei Monaten mehr Zeit mit WhatsApp verbrachten als mit jeder anderen App. Unter dem Strich kamen unfassbare 85 Milliarden Stunden zusammen.

Platz zwei belegte WeChat, Rang drei Facebook und Position vier Facebook Messenger. Was früher E-Mail-Nachrichten waren, sind heute Chat-Apps. Mit ihnen können Unternehmen unkompliziert Kontakt mit neuen und bestehenden Kunden aufnehmen.

Die Fähigkeiten moderner Chatbots für Broker
Bei korrekter Integration können die Chatbots von heute die Informationen verschiedener Brokersysteme weitermelden und mit ihnen interagieren. Mehr noch: Sie können Transaktionen im Namen von Kunden durchführen. Alles hängt davon ab, wie stark die Chatbots in dem Brokersystem verankert sind. Je größer die Datenmengen, auf die sie Zugriff haben, desto mehr können sie leisten.

Bei einer oberflächlichen Integration kann der Chatbot als erste Anlaufstelle im Kundensupport zum Einsatz kommen. Dann beantwortet er Routinefragen, mit denen sich normalerweise die menschlichen Teams herumschlagen müssen. Komplexere Anfragen landen hingegen bei Menschen. Das spart Kosten, verbessert den Service und setzt menschliche Ressourcen für wichtigere Probleme frei.

Erhält ein Chatbot auch Zugriff auf die Kurs-Feeds, kann er die Kundschaft über die Kursentwicklung ihrer Assets auf dem Laufenden halten und bei plötzlichen Kursbewegungen in Echtzeit Alarm schlagen. Falls der Broker mit Drittanbietern zusammenarbeitet, können sich die Bots bei entsprechender Anpassung auch mit Fremdsystemen austauschen.

Auf diese Weise lassen sich News und Analysen, die der Broker teuer bezahlt, direkt an die Kunden liefern – ohne dass die Trader etwas anderes als ihre bevorzugte Chat-App oder ihren Smart Speaker verwenden müssen.

Es geht aber noch mehr
Bei einer umfangreicheren Integration funktionieren auch komplexere Interaktionen zwischen Client und Bot. Durch die Verbindung zum Trading-Konto des Nutzers kann der Chatbot den Kunden über seine Kontosalden und andere Zahlen wie Profit & Loss oder die Trading-Historie informieren. Er kann sogar Warnungen aussprechen, wenn der Margin-Level bald hundert Prozent erreicht und Nachzahlungen auslöst.

Bei einer vollständigen Integration können moderne digitale Assistenten in die Rolle des Personal Brokers schlüpfen. Mit test- oder sprachbasierten Anweisungen öffnen oder schließen sie Positionen für den Kunden. Zudem lösen sie ein hartnäckiges Problem aller Online-Broker: Wie kann der gesamte Trading-Prozess für einen größeren Kundenstamm vereinfacht werden?

Denn jeder sollte Zugang zu den Märkten haben, aber leider ist nicht jeder fähig, mit Charts umzugehen. Ein gut programmierter Chatbot schließt diese Lücke und stellt einen umfassenden Trading-Service bereit. So müssen die Kunden nicht mehr auf ihre Trading-Plattform schauen, sondern können alles über ihre gewohnte Chat-App managen.

Optimale Datennutzung und Personalisierung
Die Intelligenz von Chatbots wächst also mit der Menge der Daten, die sie zur Verfügung haben. Sie lernen aus ihren Interaktionen und ermöglichen dem Broker, seinen Service viel stärker auf die Kunden zuzuschneiden, als dies mit anderen Methoden möglich ist. In der Praxis ist alles, was individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten werden soll, ein logistischer Alptraum – auch wenn die Marketingverantwortlichen laufend Lippenbekenntnisse zum Konzept der Personalisierung abliefern.

Chatbots bieten hingegen alle Voraussetzungen für das, was heute als Heiliger Gral gilt: die Personalisierung im großen Stil. Im Alltag ist das beispielsweise der Kellner im Lieblingscafé, der sich an die Vorliebe seines Gastes für ungesüßte Mandelmilch erinnert und diese unaufgefordert serviert. In der digitalen Welt greifen die Machine-Learning-Algorithmen auf Nutzungsdaten zurück, um neue Perspektiven der Personalisierung zu eröffnen, und zwar ohne zusätzliche Kosten für das Unternehmen.

Online-Broker sind zwar traditionell eher sparsam mit ihren Daten und sehr konservativ, was den externen Zugang zu diesen Informationen angeht. Doch diese Weltsicht ändert sich momentan: Die Branche beginnt, die Wettbewerbsvorteile von KI-Systemen zu erkennen. Der Zugang zu den normalerweise wohl gehüteten Daten zahlt sich besonders im Vertrieb und bei der Kundenbindung aus.

Ein Beispiel: Ein ungedecktes, nicht verifiziertes Konto fragt den digitalen Assistenten Ihres Broker-Unternehmens mehrfach nach Kursnotierungen für Tesla. Nach einem Kursrückgang von fünfzehn Prozent meldet der Bot dem Kunden diese Entwicklung. Er verschafft ihm die Möglichkeit, sein Konto prüfen und decken zu lassen, bevor er die entsprechenden Aktien kaufen kann. Anders ausgedrückt: Der Aufwand, der mit der laufenden Kontobetreuung verbunden ist, wird vollständig automatisiert. Das spart menschliche Arbeitszeit.

Broker-Bot Devexa
Devexa lautet der Name des Broker-Bots, den die Software-Ingenieure von Devexperts entwickelt haben. Devexa bedient alle Kunden individuell, unabhängig von Erfahrungs- oder Kontostand. Er bietet Brokern verschiedene Möglichkeiten, Trader so einzubeziehen und zu informieren, wie es vor einigen Jahren noch undenkbar war.

Der Bot kann beispielsweise lernen, dass ein Kunde vorzugsweise mit Gold und Öl handelt. In diesem Fall empfiehlt er einen Trading-Wettbewerb, der aktuell für diese Assets läuft. Oder er schlägt ein Webinar vor, das die voraussichtlichen Folgen geopolitischer Spannungen für die entsprechenden Kurse behandelt.

Auch Trading-Signale und -Ideen lassen sich automatisch per Chat an den Kunden übermitteln: Sie informieren ihn über die Assets, die er in der Vergangenheit besonders interessant fand. Der Kunde kann dann Näheres über die zu verfolgende Strategie herausfinden oder direkt in der App mit dem betreffenden Wert handeln.

Das erinnert an die guten alten Zeiten, als der Trader von einem persönlichen Broker begleitet wurde. Heute ist es jedoch ein Bot, der den Kunden informiert und seine Aufträge durchführt. Künftige Devexa-Versionen werden in der Lage sein, komplexere Anweisungen auszuführen. Wenn der Trader beispielsweise eine Buy-Limit-Order über ein Lot für das Währungspaar EUR/USD ausführen möchte, erteilt er Devexa folgenden Befehl: „Ich möchte ein Lot EURUSD kaufen, wenn der Markt auf 1,02 fällt.“

Rasante Entwicklung
2016 führte Oracle eine Umfrage unter 800 Entscheidungsträgern durch: 80 Prozent der Teilnehmer waren der Meinung, dass ihr Unternehmen bis zum Jahr 2020 Chatbots einsetzen würden. Einige davon bereiteten den Einsatz von Chatbots bereits aktiv vor.

Im selben Jahr schätzte der Marktforscher Markets and Markets Research das Volumen des Chatbot-Markts auf 703 Millionen Dollar. Drei Jahre später korrigierte Markets and Markets seine Schätzung und gab einen Wert von 2,6 Milliarden Dollar an. Die Firma prognostizierte zudem einen Anstieg des Marktvolumens auf 9,4 Milliarden bis zum Jahr 2024.

Der Marktforscher Juniper Research war 2019 der Meinung, dass Chatbots dem Bankensektor, dem Einzelhandel und dem Gesundheitswesen helfen könnten, bis 2023 jährlich elf Milliarden Dollar einzusparen (2018 lagen die Einsparungen bei fünf Milliarden Dollar). Im gleichen Jahr prognostizierte Juniper Research außerdem, dass die Zahl der erfolgreichen Chatbot-Interaktionen im Einzelhandel im Zeitraum zwischen 2019 und 2023 von 2,6 Milliarden auf 22 Milliarden steigen würde.

Der Trend ist eindeutig und die Entwicklung lässt sich nicht stoppen. Wer den Trend verschläft, verliert den Abschluss. Die Kombination aus Internet, Smartphone und kostengünstigen mobilen Daten hat eine Entwicklung in Gang gesetzt, die nun erst richtig beginnt: Chats sind die günstigste, schnellste und persönlichste Methode, mit Kunden in Kontakt zu treten. Lediglich der eigene Erfindungsgeist kann den Chatbots der nächsten Generation noch Grenzen setzen.

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