Man kann es drehen und wenden wie man will: Kunden haben die Kontrolle übernommen. Spätestens seit der Allgegenwart von sozialen Medien und mobilen Devices begutachten sie unerbittlich Produkte und Services, sezieren Preis und Leistung, diskutieren Kaufentscheidungen und bewerten in Echtzeit jede Regung eines Unternehmen.

Gastbeitrag von William van der Pijl, CEO des IT-Dienstleisters Macaw.

Die Globalisierung der Märkte hat die Dynamik weiter entfacht, sodass gerade internationale Marken heute mit den Meinungen gleich tausender ihrer Kunden konfrontiert – die nicht immer wohlwollend urteilen. Das 2013 von Marktforscher Forrester beschriebene "Age of the Customer"? Wir sind mittendrin. Seither nimmt die Macht der Kunden jeden Tag ein bisschen weiter zu und führt zur Disruption ganzer Industrien. Viele Grüße von den Fintechs und dem weltweiten E-Commerce-Oligopol.

Nicht allen Unternehmen fällt es leicht, mit diesem Paradigmenwechsel Schritt zu halten. Schließlich müssen sie nicht nur ihre IT an die Entwicklung anpassen – allein diese Maßnahme ähnelt einem technologischen und finanziellen Kraftakt. Genauso essenziell ist es, ein neues Mindset zu schaffen, das nicht nur Kundenzentriertheit, sondern gleich Kundenbesessenheit in den Mittelpunkt stellt.

Die Gefahr der Kannibalisierung von neu und alt ist groß, das feine Austarieren der bisherigen, bequemen Exploitation und der anstehenden, ungewissen Exploration schwierig. Aber es hilft nichts: Wer nicht bereit ist, diese Schritte zu gehen, wird weder die nötige Customer Experience aufbauen, noch sich lange am Markt halten können.

Nicht erst seit der Pandemie wissen wir, dass Deutschland, seine Behörden und Organisationen wahrlich keine Vorreiter der Digitalisierung sind – und der viel zitierte Föderalismus ist nicht daran schuld. Immer wieder begegnet einem das Bonmot "Digitale Transformation beginnt mit dem TÜV".

Es verleitet zum Schmunzeln, beschreibt aber durchaus zutreffend die kulturell bedingte Zurückhaltung der Manager und ITler in diesem Land. Andere Länder sind viel weiter, weil deren Entscheider pragmatischer und mutiger sind – egal, ob sie B2C- oder B2B-Märkte bedienen.

Der deutsche Mittelstand, überdurchschnittlich geplagt durch knappe Budgets und fehlende Personalressourcen in der IT, hat noch öfter das Nachsehen. Gerade im Bereich der Digital Experience (DX), die angesichts der stärkeren Fokussierung auf den Kunden einen immer größeren Raum innerhalb der Digitalen Transformation einnimmt, halten sich kleine und mittlere Unternehmen erschreckend oft zurück.

Kein Wunder: Konventionelle DX-Plattformen, die, um einen tatsächlichen Impact zu haben, aus einer Vielzahl von Lösungen wie CMS, E-Commerce, Asset Management, CRM oder MDM zusammengestellt sein sollten, sind manchmal behäbig, oft überdimensioniert und lassen sich nicht immer nahtlos in die bestehende IT-Landschaft integrieren. Damit sprengen sie meist die Budgetvorstellungen und den geplanten zeitlichen Aufwand der Unternehmen.

Anfang des Jahres gab es ein mittleres Beben im Bereich der DX-Managementlösungen. Sitecore, ohnehin einer der wichtigen Player, hat die gigantische Summe von 1,2 Milliarden US-Dollar an Land gezogen. Dieses Volumen entspricht vermutlich der größten, jemals getätigten Kapitalinvestition im Bereich der Marketingtechnologie.

Kurz danach gab der Softwarehersteller die Übernahme gleich dreier Unternehmen bekannt: Boxever mit einer SaaS-basierten Customer Data Platform, Four51 mit einer E-Commerce-Lösung und der Marketing-Automation-Spezialist Moosend. Die Systeme der Player wird Sitecore in das eigene Angebot integrieren.

Das sind gute Nachrichten vor allem für den Mittelstand, denn der nächste logische Schritt von Sitecore wird der Aufbau einer umfassenden DX-Plattform sein, die alle Aspekte der personalisierten Digital Experience abdeckt, zahlreiche Tools und KI-Lösungen integriert, große Agilität erlaubt – und SaaS-basiert ist.

Mit einem Pay-per-Use-Modell entfällt für viele mittlere und kleine Unternehmen die kaum tragbare Last, abenteuerliche IT-Budgets für die Implementierung einer eigenen Lösung investieren zu müssen. Anders formuliert wird die strategische Tragweite dieses Weges besser greifbar.

Der Mittelstand kann mit überschaubaren Mitteln in das Zeitalter der Digitalisierung eintreten, gleichberechtigt am "Age of the Customer" teilhaben und mit finanzstarken Großunternehmen mithalten. Diese Entwicklung hat tatsächlich eine wirtschaftspolitische Dimension. Wenn Sitecore von disruptiven Digitalmarketing-Lösungen spricht, ist es nicht übertrieben.

Natürlich geht so etwas nicht auf Knopfdruck: Auch eine SaaS-basierte DX-Plattform enthebt Unternehmen nicht von der Notwendigkeit, eine anstehende Digitalstrategie präzise mit ihrem bestehenden Business abzustimmen. Und auch die Integration mit existierenden Legacy-Systemen und anderen Datensilos ist keine triviale Angelegenheit.

Wichtig ist deshalb die Entscheidung für die richtigen Tools, Plattformen, Architekturen und Dienstleister und die frühzeitige Identifizierung mit dem richtigen Mindset: Be customer obsessed!

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