Die Pandemie hat uns die Defizite bei der Digitalisierung der Schulen in Deutschland überdeutlich vor Augen geführt. Nach wie vor steckt das deutsche Bildungswesen in den sprichwörtlichen Kinderschuhen. Um die schulische Reife zu erreichen, muss Schluss sein mit lokalem Do-it-yourself und stattdessen die Entwicklung sicherer zentraler Lösungen vorangetrieben werden.

Carlo Petruschke, Director Consulting Services im Bereich des öffentlichen Sektors bei CGI in Deutschland beschreibt wie das funktionieren kann.

Unzureichende Hardware, knappe Budgets, geringes IT-Know-how und ungenügende pädagogische Digitalisierungskonzepte sowie Kleinstaaterei bei den Zuständigkeiten sprechen eine deutliche Sprache: Deutschland ist aus schulischer Sicht digitales Entwicklungsland. Dabei wurden finanzielle Mittel in Milliardenhöhe schon vor Jahren durch den Digitalpakt Schule bereitgestellt und während der Pandemie noch einmal aufgestockt.

Das Programm legt den Schwerpunkt jedoch auf Hardware und digitale Schulgebäudevernetzung, aber nicht auf End-to-End-Prozesse und einen nachhaltigen IT-Betrieb. Das wird die Schulen in Zukunft vor noch größere Herausforderungen stellen, denn mehr Technik und IT-Plattformen sollen von der kaum IT-geschulten pädagogischen Belegschaft betrieben und weiterentwickelt werden.

Die Erfahrungen mit dem Digitalpakt und der Ausblick im Bildungswesen zeigen, wie dringend notwendig eine Neuorientierung ist. Wir brauchen ein Reboot, einen pragmatischen Neustart bei der Digitalisierung der Schulen. Und der muss sich praxisnah an der realen Vielfalt und den unterschiedlichen Voraussetzungen bezüglich der Situation der Schulen, der Schulträger und der Kultusbürokratie orientieren.

Insuffiziente Prozesse = insuffiziente Digitalisierung
An erster Stelle steht die Erkenntnis, dass die Digitalisierung von mangelhaften analogen Prozessen im Ergebnis nur eins hervorbringen kann: mangelhafte digitale Prozesse. Bevor also schulische Digitalisierungskonzepte entwickelt werden, müssen zuerst die bestehenden Strukturen auf den Prüfstand. Das betrifft einerseits die zersplitterte Bedarfsträgerlandschaft, die eine notwendige Zentralisierung von IT-Infrastrukturen und -Dienstleistungen ausbremst.

Sie steht andererseits einer ins Alter gekommenen Lehrerschaft gegenüber, die genau dies dringend benötigt, weil sie mit der IT-Organisation und -Administration als Zweit- oder Drittbeschäftigung neben ihren eigentlichen pädagogischen Aufgaben verständlicherweise überfordert ist.

Unterstützung ist dabei von der konservativ-bewahrend geprägten Kultusbürokratie kaum zu erwarten. Diese Praxis führt zurzeit dazu, dass sich gute Schulen mit vorhandenen IT-Kapazitäten durchsetzen, während andere zurückbleiben, und so die Kluft zwischen vorbildlichen und durchschnittlichen Schulen immer größer wird.

Bottom-up statt Top-Down
Nachdem sich herausgestellt hat, dass die Digitalisierung von oben nicht zu erwarten ist, ist der zukünftige Weg vorgegeben: Sie muss von unten getrieben werden. Die Schulen kennen ihre tatsächlichen Probleme und Bedürfnisse schließlich genau. Sie müssen die daraus resultierenden Notwendigkeiten und Herausforderungen allerdings erkennen und artikulieren.

Die Formulierung entsprechender Lösungsansätze sollte am besten mit der Unterstützung von IT-Experten ausgeführt werden. Denn um wirklich zu verstehen, wie Probleme oder Mängellagen durch Digitalisierung behoben oder zumindest gemildert werden können, müssen Pädagogen die IT verstehen – und umgekehrt. Nur so kann IT für die Schulen zum Innovationstreiber werden.

Aus Industrie und Wirtschaft ist dieser integrative Ansatz als DevOps (Development & Operations) bekannt, bei dem Business- und IT-Experten in Teams gemeinsam neue Lösungen zur Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen erarbeiten und umsetzen. Er erweist sich dort als höchst erfolgreich und setzt sich zunehmend durch.

Für solche konzertierte Aktionen sind beispielsweise Design Thinking Workshops ein konstruktives Format, in dem – übertragen auf das Bildungswesen – Lehrer, Schüler und Digitalspezialisten zusammenarbeiten, um beispielsweise Medienentwicklungspläne zu erstellen. In diesen Workshops zeigt sich, dass gerade durch dieses austarierte und inklusive Format Lösungen für die Organisation erarbeitet werden, die so den notwendigen Rückhalt besitzen.

Damit hat eine Umsetzung die größten Chancen auf einen schnellen und nachhaltigen Erfolg. Grundsätzlich sollten alle Schulen die Möglichkeiten besitzen, ihre eigenen Anforderungsprofile zu definieren. Dabei könnten in der Praxis jene Schulen eine Blaupause für die Definition eines IT-Service-Katalogs gegenüber den Bedarfsträgern erarbeiten, die in diesem Thema bereits über Erfahrungen und Expertise verfügen.

Davon würden in der Folge alle Schulen profitieren. Erst wenn sie den Bedarfsträgern ihre Anforderungen zielgerichtet kommunizieren, entstehen IT-Services, die die Schulen von vielen IT-Aufgaben entlasten, eine sichere Lernumgebung bieten und effizient die nötige Skalierbarkeit für volatile Belastungen sicherstellen.

Skalierbare Services statt solitärer Lösungen
IT-Experten, Betriebswirte, Unternehmensentscheider und Effizienzspezialisten wissen um die elementare Bedeutung von Skalierungsoptionen und Skaleneffekten. In den Digitalisierungskonzepten für das Bildungswesen werden sie jedoch eher vernachlässigt. Stattdessen werden solitäre Lösungen nach dem Trial-and-Error-Prinzip auf lokaler oder regionaler Ebene versucht.

Der Ruf nach skalierbaren zentralen Digitalstrukturen, wie etwa einer Bildungs-Cloud und dort gehosteten Lernplattformen für alle Bildungsträger, widerspricht vielleicht auf den ersten Blick dem Bottom-up-Ansatz. Auf den zweiten Blick aber erfüllt er genau die Forderungen, die sich aus den Nöten der Bildungsbasis zwangsläufig ergeben.

Anders gesagt: Die schulalltäglich dezentral erlebten Probleme können am besten durch zentrale Lösungen behoben werden. Schulen müssen aus einem standardisierten, aber bedarfsgerechten IT-Servicekatalog ihre Dienste frei wählen dürfen.

Plattform-Ökonomie – Digitalisierung à la française
Wie so etwas in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel unserer französischen Nachbarn. Dort nutzen landesweit bereits mehr als zwei Millionen Schüler an über 1.700 Schulen die von CGI entwickelte Lern- und Kollaborationsplattform OpenENT. ENT steht für die Abkürzung „Espace Numérique de Travail“ und bedeutet übersetzt: digitale Arbeitsumgebung.

OpenENT führt Schüler, Lehrer und Eltern gemeinsamen in einem zentralen sozialen Bildungsnetzwerk zusammen. Es stellt einen virtuellen Raum bereit, in dem solo oder in wechselnden Gruppen gelernt, Wissen ausgetauscht und Kreativität ausgelebt werden kann. Das Netzwerk ist gegen Hackerattacken, Datenmissbrauch und Cyber-Belästigungen geschützt und wird in Frankreich aktuell als virtuelle Lernplattform vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe genutzt.

Beispiele digitaler Arbeits- und Lernbereiche wie „Paris Classe Numérique“, „monLycee.net“ oder „lyceeconnecte.fr“, die alle auf OpenENT basieren, könnten auch als Vorbild für Initiativen in Deutschland dienen. Die Zeit dafür ist überreif, und es muss endlich gehandelt werden.

Die Phase von langwierigen Absichtserklärungen, Positionspapieren und Planungsstrategien ist vorbei. Wenn Deutschland seinen Ruf und seine Stellung als führende Wirtschafts- und Industrienation nicht gefährden will, muss das Bildungswesen wertbringend digitalisiert werden – und zwar jetzt!

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