Seit Wochen ist zu lesen, das KI-Gesetz der EU sei ein Meilenstein bei der Regulierung Künstlicher Intelligenz und könne als Vorbild für den Rest der Welt dienen, doch so richtig kann man die Euphorie nicht nachvollziehen. Europa, das bei KI-Innovationen ohnehin schon hinterherhinkt, verschärft die Spielregeln, statt sich voll darauf zu konzentrieren, Rahmenbedingungen für KI-Innovationen europäischer Firmen zu schaffen und KI-Experten nach Europa zu locken.
Von Christian Guttmann, Vice President of Engineering, Decisioning & AI.
Natürlich ist es richtig und wichtig, die Rechte der Bürger zu schützen, doch viele Vorgaben stecken bereits in anderen Gesetzen und Richtlinien, etwa zum Datenschutz. Es hätte wohl ausgereicht, diese um ethische Normen und Transparenzpflichten zu ergänzen, damit KI-Start-ups erstmal in Ruhe arbeiten können.
Stellen die EU oder einzelne Mitgliedsstaaten dann Fehlentwicklungen fest, können sie immer noch eingreifen – ganz so, wie Südkorea das beispielsweise tut, das einen Ansatz verfolgt, der sich am besten mit „erstmal zulassen, dann nachregulieren“ beschreiben lässt.
Auch den Ansatz der USA, vornehmlich mit Empfehlungen wie einem „AI Bill of Rights“ zu arbeiten und lediglich für Bundesbehörden verpflichtende Vorgaben zu machen, finde ich charmant. Er hat der KI-Entwicklung in den Vereinigten Staaten zumindest nicht geschadet – viele dortige Unternehmen sind führend in Bereichen wie prädiktiver und generativer KI.
Mein Eindruck ist, dass die Regulierung der EU vor allem darauf ausgelegt ist, diese Marktführer aus den USA und auch die aus China einzubremsen. Das ist ein sehr defensiver Ansatz, der die KI-Entwicklung in Europa und global behindern kann. Der offensive Ansatz wäre gewesen, die Unterstützung und Förderung von europäischen Firmen in den Vordergrund zu stellen, damit diese bei der nächsten KI-Generation – etwa Quanten-KI, Distributed KI oder Kausaler KI – in der ersten Liga mitspielen können.
Ohnehin bleibt abzuwarten, wie zukunftsfähig die neuen Regeln sind, denn KI entwickelt sich so schnell weiter, dass die Gefahr besteht, immer wieder nachbessern zu müssen. Einen ersten Vorgeschmack darauf lieferte in den vergangenen Monaten bereits generative KI, die einen solch rasanten Sprung machte, dass die EU ihre risikobasierten Vorgaben eilig um einige Anforderungen für die zugrunde liegenden Basismodelle ergänzen musste. Wie diese konkret aussehen, soll in den nächsten Monaten das neue KI-Büro der EU ausarbeiten.
Überhaupt kommen dem KI-Büro wichtige Aufgaben zu, die über den Erfolg oder Misserfolg des KI-Gesetzes entscheiden. So soll es als zentrale Instanz beispielsweise für eine einheitliche Anwendung und Durchsetzung der Regeln sorgen – und damit auch sicherstellen, dass kein Flickenteppich entsteht, weil die einzelnen Mitgliedsstaaten das in vielen Punkten relativ vage Gesetz unterschiedlich auslegen und umsetzen.
Das ist löblich, und es ist der EU zu wünschen, dass sie ausreichend Techniker, Entwickler und Ethiker mit KI-Know-how für dieses Vorhaben findet. Auch um tatsächlich alle möglichen Verstöße untersuchen und sanktionieren zu können – und sich nicht nur auf einige prominente Fälle zu beschränken, während zahllose kleinere Apps mit KI unter dem Radar fliegen. Angesichts der Vielzahl und Vielfalt an KI-Anwendungen und Geräten, in denen KI-Funktionen stecken, ist das eine wahre Mammutaufgabe.
Gelingt es dem KI-Büro der EU einen nicht zu eng gesteckten Regulierungsrahmen zu setzen und die hiesige KI-Entwicklung möglichst wenig einzubremsen, könnte der Fokus anschließend wieder darauf gerichtet werden, Europa als Standort für die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von KI zu stärken. Damit europäische KI-Innovationen entstehen und gedeihen können und wir mehr technologische Souveränität bei dieser Zukunftstechnologie erhalten.