Die Cyber-Sicherheit ist mittlerweile zentraler Bestandteil der Außenpolitik geworden. Gerade die EU eröffnet mit ihrem jüngsten Schritt, Sanktionen für Cyber-Angriffe zu verhängen, ein neues Kapitel in der Diplomatie. Lesen Sie im Folgenden dazu einen Kommentar von Jamie Collier, Analyst bei Mandiant Threat Intelligence von FireEye.
„Bislang haben sich die Bemühungen der EU hauptsächlich auf die Verteidigung europäischer Netzwerke und auf die Entwicklung von Vorschriften zu Sicherheits- und Datenschutzfragen konzentriert. Die aktuell verhängten Sanktionen beweisen, dass die Union nun aktiv und energisch gegen feindselige Cyber-Aktivitäten vorgeht.
Es zeigt auch, welchen hohen Reifegrad die Cyber-Sicherheit in den Mitgliedstaaten erreicht hat – ein Thema, das vor wenigen Jahren kaum Gegenstand der gemeinsamen Außenpolitik war und auch keine Sanktionen nach sich gezogen hätte.
Die strafende Wirkung der Sanktionen gegen China, Nordkorea und Russland wird begrenzt sein. Anstatt die involvierten Staaten zur Verantwortung zu ziehen, richten sie sich gegen einzelne Personen und Institutionen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass sie einen ernsthaften finanziellen Schaden verursachen, wie dies bei umfassenden Wirtschaftssanktionen oft der Fall ist.
Die Sanktionen betreffen Angriffe, die abgeschlossen und veraltet sind. Und sie ähneln früheren Maßnahmen der USA gegen nordkoreanische und russische Bedrohungsakteure, die weniger als Mittel zur direkten Bestrafung gedacht oder geeignet waren. Schließlich dürften nur wenige der russischen, chinesischen und nordkoreanischen Hacker, gegen die ein Reiseverbot verhängt wurde, in nächster Zeit einen Besuch auf dem europäischen Festland geplant haben.
Starke Wirkung trotz begrenztem unmittelbaren Effekt
Stattdessen sind diese Sanktionen eine politischen Botschaft. Indem sie bestimmte Formen von Cyber-Aktivitäten abstraft, zieht die EU eine rote Linie. Die Sanktionen beziehen sich auf Kampagnen mit offenkundig destruktiven Elementen oder kommerziellen Spionageaktivitäten.
Somit unterscheidet die EU zwischen diesen Formen und dem, was man als traditionelle Spionage bezeichnen könnte – meist die Informationsbeschaffung bei Regierungs- und Militäreinrichtungen. Jedoch hat die EU bei diesem Schritt offen gelassen, was sie zu erreichen versucht, und versäumt, künftige Rahmenbedingungen zu spezifizieren.
Gleichzeitig sind die Sanktionen ein starkes Bekenntnis zu kollektivem Handeln der EU. Man kann vielleicht nicht erwarten, dass ein kleiner europäischer Staat allein Maßnahmen gegen eine von russischer oder chinesischer Seite staatlich geförderte Kampagne ergreift, doch in der Mehrzahl wird ein anderer Effekt erreicht:
Je mehr Staaten sich zu Sanktionen oder Zuschreibungserklärungen verpflichten, desto einfacher wird es für weitere Staaten, die reduzierten politischen Kosten mitzutragen. Als die Five Eyes (Australien, Kanada, Neuseeland, Großbritannien und die USA) im Jahr 2018 Russland für NotPetya verantwortlich machten, taten sie dies zusammen mit Dänemark, Estland, Litauen und der Ukraine – allerdings ohne Frankreich und Deutschland.
Wenn man sieht, wie die Staaten der weltweit größten politischen Union jetzt zusammenarbeiten, zeigt sich ein eindeutiger kollektiver Geist. Es bleibt abzuwarten, ob es künftig auch Cyber-Sanktionen geben wird, die aus einem gemeinsamen, transatlantischen Vorgehen entstehen.
Sanktionen als deutliche Warnung
Sanktionen dieser Art erhöhen den Druck und die politischen Kosten für die Durchführung von Cyber-Operationen, die internationale Normen verletzen, wie etwa zerstörerische Angriffe oder solche, die die Demokratie untergraben. Die Botschaft, die von diesen Sanktionen ausgeht, geht über die konkret in diesem Fall festgelegten Maßnahmen hinaus.
Die EU weiß nur zu gut, dass viele Staaten derzeit Cyber-Einheiten entwickeln, wie die Zunahme iranischer und vietnamesischer Bedrohungsakteure in den letzten fünf Jahren deutlich zeigt. Die Verhängung von Sanktionen sendet daher auch eine klare Botschaft an neu auftretende Bedrohungsakteure.“