Das Startup OnlineDoctor und der Berufsverband der Deutschen Dermatologen machen gemeinsame Sache, um die Telemedizin in Deutschland mit großen Schritten nach vorne zu bringen. Das Startup, das Hautkrankheiten per Foto beurteilt, arbeitet in der Schweiz bereits mit mehr als 20% der Dermatologen zusammen. Der BVDD repräsentiert 90% der deutschen Hautärzte.
Der Präsident des BVDD, Dr. Klaus Strömer, und Leonie Sommer, Geschäftsführerin von OnlineDoctor Deutschland, sprechen im Interview über die Zukunft des Berufsbildes Hautarzt, wieso die Tage überfüllter Wartezimmer gezählt sind und warum die Dermatologie als Blaupause für viele Fachrichtungen dienen kann.
Das Startup OnlineDoctor ermöglicht eine fachärztliche Diagnose innerhalb von 48 Stunden. Warum liegt der Fokus auf der Dermatologie?
Leonie Sommer: Die Dermatologie ist besonders für eine asynchrone Konsultation geeignet. Das heißt: Patient und Arzt müssen für eine erste Beurteilung nicht zeitgleich am selben Ort sein. Sehr viele Hautkrankheiten lassen sich per Blickdiagnose erkennen, zudem sind im Gegensatz zu anderen Fachrichtungen meist keine Blutproben oder ähnliches notwendig. Smartphones verfügen über sehr gute Kameras, die in Verbindung mit einer Beschreibung der Symptome in den meisten Fällen eine sehr hohe Aussagekraft haben.
Dr. Klaus Strömer: Dermatologen sind sehr ausgelastet, die Wartezimmer voll, Termine oft auf Wochen ausgebucht. Hier ist eine digitale Lösung ohne Probleme einsetzbar und bietet großes Potential, von dem alle Seiten profitieren.
In Deutschland hat sich OnlineDoctor mit dem BVDD zusammengeschlossen – eine ungewöhnliche Phalanx aus Verband und Startup. Wieso kam es zu der ungleichen Paarung und welche Ziele verfolgen Sie?
Dr. Klaus Strömer: Als Verband, der 90% der deutschen Dermatologen repräsentiert, ist es unsere Aufgabe, stets nach Innovationen zu schauen und das Berufsbild für die Zukunft zu rüsten. Die Arbeitswelten haben sich verändert und wir brauchen die Digitalisierung, um den neuen Herausforderungen gerecht zu werden.
Leonie Sommer: Für uns ist der Fachverband ein Türöffner und kompetenter Ratgeber zugleich, der uns nicht nur mit den Fachärzten zusammenbringt, sondern auch wertvolle Insights bietet und uns mit zentralen Playern des Gesundheitswesens vernetzt. Wir freuen uns sehr, dass der Verband sich für uns als Kooperationspartner entschlossen hat. OnlineDoctor ist seit über zwei Jahren in der Schweiz am Markt. Dort setzen bereits mehr als 20% der Dermatologen OnlineDoctor erfolgreich ein.
Glauben Sie, dass in Deutschland ebenfalls eine große Offenheit gegenüber digitalen Lösungen herrscht? Gibt es Unterschiede zwischen den Märkten?
Dr. Klaus Strömer: Ja, unter unseren Mitgliedern ist das Interesse sehr groß. Die sensationellen Fallabschlussquoten von 85% nach dem digitalen Erstkontakt in der Schweiz zeigen, dass nur wenige Patienten wirklich persönlich vorstellig werden müssen. Die daraus resultierenden positiven Effekte sind zahlreich: Praxen können effizienter organisiert werden, es ist mehr Zeit für anspruchsvolle Fälle, Wartezeiten verkürzen sich, Vorsorge und Betreuung können engmaschig und ohne Verzögerung erfolgen, Patienten können schnell beruhigt werden, Hemmschwelen werden abgebaut – das kann besonders bei Geschlechtskrankheiten von Vorteil sein, aber auch bei allen möglichen Beschwerden oder in Situationen, in welchen Menschen immobil oder im Urlaub sind – und strukturschwache Regionen können besser betreut werden. Ich könnte noch lange so weiter machen. Ein Foto von einem Ausschlag, einem Insektenstich oder einer Warze kann einfach sehr viel Zeit, Energie und Nerven sparen...
Leonie Sommer: Wir sehen das genauso. Wir werden in Deutschland in wenigen Monaten ebenso gut aufgestellt sein, wie in der Schweiz. Wir kommen aktuell im Onboarding der interessierten Dermatologen gar nicht so schnell hinterher, wie Anfragen eintreffen. Dazu werden auch wir unser Team zeitnah aufstocken.
Was ist der nächste Schritt?
Leonie Sommer: Die Sichtbarkeit und Akzeptanz bei Patienten zu erreichen ist zunächst der wichtigste Schritt. Sie müssen davon erfahren und OnlineDoctor ausprobieren. Das gilt für Betroffene, die Wege und Zeit sparen wollen, aber auch für Einrichtungen wie Pflegeheime. Sie alle sollen die neuen Möglichkeiten erst kennenlernen.
Welchen Herausforderungen sehen Sie sich gegenüber?
Leonie Sommer: Die deutsche Gesundheitsversorgung findet zum größten Teil noch analog statt. Der benötigte und auch schon angestoßene Strukturwandel wird nicht von heute auf morgen stattfinden. Damit sich die Telemedizin langfristig durchsetzt, müssen alle Stakeholder überzeugt werden – Patienten, Ärzte, Reha- und Alterszentren, Apotheken und viele mehr. Wir sind jedoch fest davon überzeugt, dass wir dies mit OnlineDoctor erreichen werden. Unsere Lösung ist intuitiv, kunden- und ärztefreundlich und verbessert die Versorgung nachhaltig. Der sehr erfolgreiche Start in den letzten Wochen bestätigt uns, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden.
Haben junge Menschen mehr Interesse an dem digitalen Angebot als ältere?
Dr. Klaus Strömer: Auf Seiten der Ärzte ist sogar das Gegenteil der Fall. Junge Ärzte sind zunächst mit der Praxisgründung oder -übernahme beschäftigt und finden sich in ihre zahlreichen Rollen ein – da bliebt wenig Zeit für Neues und Außerplanmäßiges. Wir stellen fest, dass besonders erfahrene Kollegen Interesse zeigen, die mehrere hundert Patienten in der Woche sehen.
Wie hat sich das Berufsbild des Dermatologen verändert?
Dr. Klaus Strömer: Es gibt immer weniger Nachwuchs. Viele Regionen haben bereits ein stark ausgedünntes Netz an Dermatologen, Kassenpatienten warten bis zu drei Monate auf einen Termin. Junge Ärzte wünschen sich, ebenso wie gut ausgebildete Fachkräfte aller Berufsgruppen, flexible Arbeitszeiten sowie ortsunabhängiges Arbeiten. Gerade für Frauen kann die Möglichkeit der asynchronen Fallbearbeitung sehr interessant sein, da es die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützt.
Welchen Herausforderungen sehen sich Hautärzte in Zukunft gegenüber gestellt?
Dr. Klaus Strömer: Auch Patienten werden anspruchsvoller, sind gut informiert und agieren stärker auf Augenhöhe. Sie wollen eine schnelle Hilfe – aus dem Urlaub zum Beispiel. Für eine Salbe extra einen Termin machen und drei Wochen warten? Das wird uns bald sehr antiquiert vorkommen.
Wie können digitale Lösungen wie OnlineDoctor da helfen?
Leonie Sommer: Wir ersparen nicht nur Wartezeit, Anfahrt, Parkplatzsuche und Co. Wir eröffnen auch eine absolute Wahlfreiheit bei der Entscheidung für einen Facharzt. Patienten sind nicht mehr auf einen Ansprechpartner aus ihrer Region angewiesen.
Der Name lässt nicht unbedingt auf eine Fachrichtung schließen. Warum?
Leonie Sommer: Wir haben den Namen bewusst offen gehalten, weil wir glauben, dass das Erfolgsmodell auch auf andere Fachbereiche übertragen werden kann. Zunächst liegt unser Fokus jedoch auf der Dermatologie.