Schulen tun sich schwer mit der Umsetzung des Digitalpakts. Nicht einmal 1% des verfügbaren Budgets von 5 Milliarden Euro wurden ein Jahr nach Start abgerufen. Anna Iarotska, Gründerin des EdTech Startups Robo Wunderkind, über die German Angst vor der Digitalisierung, die Hürden für Bildungsträger und gute Ansätze aus Bayern.
Vor einem Jahr, im März 2019, wurde in Deutschland der Digitalpakt Schule beschlossen. Doch die Umsetzung stockt – und damit die Zukunft unserer Kinder. Erst 40 Millionen der fünf Milliarden Euro wurden für das digitale Aufrüsten eingesetzt und in den Schulen ist kaum etwas von dem neuen Zeitgeist zu spüren. Noch immer rätseln Länder, Schulen und Kindergärten, wie sie vorgehen sollen.
Das Stimmungsbild bei Verantwortlichen zeigt Skepsis und Überforderung, weiß Anna Iarotska, die beinahe jeden Tag mit Pädagogen und Trägern zusammenkommt und diskutiert. Ihr EdTech-Startup steht damit direkt an der Digitalisierungsfront. „Die Bundesländer haben Mühe, die hohen Subventionen effizient zu verteilen und passende Maßnahmen zu entwickeln. Die Lösung liegt in der Nutzung verfügbarer digitaler Lernmittel sowie deren Einbindung in bestehende Lehrpläne“, so Iarotska.
Pädagogen wissen nicht, wo sie anfangen sollen – jede Schule muss ein eigenes Konzept erarbeiten
Ein Grund, weshalb sich der Prozess zäh gestaltet, liegt in den verteilten Aufgabenbereichen einzelner Stellen. Die Finanzierung der Budgetgelder findet auf Bundesebene statt, während die Beratung und Konzeptionierung Ländersache ist. In den Ländern kümmern sich sogenannte Medienzentren darum, Schulen aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es im Bereich der Digitalisierung gibt. In manchen Bundesländern gelingt der Prozess übersichtlicher als in anderen.
Viel Arbeit wird allerdings mehrfach gemacht und eine klare Richtung ist schwer zu erkennen. Jede Schule muss separate Konzepte erarbeiten und Budgets beantragen. Anna Iarotska vermisst eine gemeinsame Strategie: „Wir sehen auf Messen, Veranstaltungen und Workshops mit Pädagogen, dass sie nicht wissen, wo sie anfangen sollen.
Digitale Lerntools ermöglichen eigenständiges Lernen – Lehrer brauchen keinen Wissensvorsprung mehr
„Dazu kommt, dass viele Entscheider des deutschen Schulsystems Berührungsängste mit den Themen IT und Digitalisierung haben – in Deutschland sind diese mit Ängsten besetzt“, so Iarotska. Doch die Zukunft liegt in offenen Lernstrukturen und eigenständigem Tüfteln im Team: „Pädagogen müssen keinen Informatik-Background haben, um mit einem digitalen Lerntool zu unterrichten. Es ist der Idee immanent, dass das eigenständige Probieren im Mittelpunkt steht. Lehrkräfte müssen keinen Wissensvorsprung haben, sondern können gemeinsam mit Schülern auf Entdeckungsreise gehen.“
Eine interaktive, offene Lernatmosphäre kommt Kindern auf unterschiedliche Weise entgegen: Sie können sich freier bewegen und austauschen, üben soziale Skills und lernen initiativ an Aufgabenstellungen heranzugehen. „Pädagogen können als allwissende Autorität zurücktreten. Lehrer werden zum Sparringspartner auf Augenhöhe“, so Anna Iarotska.
Deutschland hinkt im internationalen Vergleich weit hinterher
Rund fünf Milliarden Euro hat die deutsche Bundesregierung im Rahmen des Digitalpakts für die Ausstattung von Schulen zur Verfügung gestellt. Das sind knapp 500 Euro pro Kopf – verteilt auf fünf Jahre. Bei 11 Millionen SchülerInnen und 40.000 Schulen in Deutschland macht das rund 137.500 Euro für jede Schule.
Wie dringend diese Mittel investiert werden müssten, zeigen auch diese Zahlen: Während in den USA rund 99% der SchülerInnen Zugang zum Internet haben, sind es in Deutschland lediglich 34%. Bei der Ausstattung mit Computern, Tablets und anderen Endgeräten sieht die Situation ähnlich aus. 60% der Schulleiter beurteilen die Ausstattung mit Tablets mit der Schulnote 6.
„Aus unserer Erfahrung zaudern viele Entscheider im Bildungssektor, wälzen Bedenken und bleiben in der Theorie. Der Beantragungsprozess für die Budgets tut sein Übriges. Schule wird sich in Zukunft stark verändern. Um Lehrpersonen jetzt zu unterstützen, braucht es allerdings Lösungen für bestehende Lehrpläne“, so Anna Iarotska.
Digitale Bildung muss das frühe kognitive Fenster nutzen
Seit sechs Jahren setzt sich die EdTech-Gründerin für die digitale Bildung von Kindern ein und macht sich dafür stark, dass Robotics und Coding in die Lehrpläne von Kindergärten und Schulen auf der ganzen Welt aufgenommen werden. Mit Robo Wunderkind hat sie ein Roboter Baukastensystem entwickelt, mit dem Kinder ab fünf Jahren auf spielerische Weise Programmiersprachen lernen können.
Mehr als 500 Schulen in 25 Ländern arbeiten bereits mit den Modulen. Schon im Kindergartenalter arbeitet das kognitive Bewusstsein auf Hochtouren und die Entwicklung kognitiver Fähigkeiten kann zu diesem Zeitpunkt immens gefördert werden. „Digitale Bildung muss früh beginnen“, so Anna Iarotska.
Kinder sollen Technik gestalten, nicht konsumieren
Aus Iarotskas Sicht wird zu oft über Computer und VR-Brillen diskutiert: „Es geht nicht darum, unseren Kindern weitere Bildschirme und Gadgets vorzusetzen. Die digitale Bildung der Zukunft lässt Kinder zu Gestaltern von Technologie heranwachsen – und nicht zu passiven Konsumenten von Videos, Spielen und Social Media. Sie sollen nicht mehr reagieren, sondern agieren.“ Dazu müssten sie aber die Programmiersprachen und Grundprinzipien des digitalen Zeitalters kennen und beherrschen lernen.
Bayern macht es vor
Bei allen Hürden und Bedenken, gibt es aber auch positive Beispiele: So haben in Bayern bereits einige Schulen losgelegt und Erfolge erzielt. Die Mittelschule Simmernstraße in München nutzt die digitalen Lernroboter von Robo Wunderkind für die Klassenstufen 5 bis 8 – und das bereits das zweite Schuljahr in Folge.
Schulleiterin Birgit Dittmer-Glaubig ist mit den Ergebnissen sehr zufrieden: „Die Robos ermöglichen in einem sehr ansprechenden Format, neu erlangtes Wissen konkret anzuwenden und machen das Erleben dieses neuen Zeitgeistes in spielerischer Form möglich.“
Auch die SchülerInnen (10-14 Jahre) die Grundschulen Huglfing und Hohenpeißenberg und die Mittelschule Wilhelm-Conrad Röntgen in Weilheim tüfteln schon mit den Roboter Baukästen. Sie lernten die Roboter im Rahmen eines Pilotprojektes kennen, das von engagierten Lehrpersonen organisiert wurde, die ebenfalls Teil des Digitale Schule 2020 Projektes in Bayern sind.