Dass die deutschen Behörden dringend eine umfassende Digitalisierung brauchen, ist nicht erst seit Corona klar. Eine Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass Politik und öffentliche Verwaltung das Thema nicht länger auf untergeordnete Ebenen abschieben. Frank Wischerhoff, Sales Director Public Sector bei Pegasystems, beschreibt was es damit auf sich hat.
Flüchtlingskrise, Covid-19-Pandemie, Hochwasserkatastrophe: Diese drei Ereignisse haben die digitalen Versäumnisse der öffentlichen Verwaltung in Deutschland wie unter einer Lupe sichtbar werden lassen. Der Staat funktionierte in diesen Krisen nicht annähernd so gut, wie man es von Deutschland hätte erwarten können – immerhin die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, das Land der Tüftler und Ingenieure und die Wiege der modernen Verwaltung.
Aber nicht nur in Bundesbehörden und Ministerien, auch im normalen Behördenalltag sind die Digitalisierungsdefizite an allen Ecken und Enden zu spüren. Bürger und Unternehmen warten oft monatelang auf Genehmigungen. Termine in Bürgerbüros sind auf Wochen ausgebucht.
Wichtige Kontroll- und Schutzaufgaben des Staates bleiben unerledigt. Statt öffentliche Präsenz zu zeigen, kämpft die Polizei mit veralteter Technik, um Berichte und Anzeigen zu erstellen. Vom analogen Zustand in den Schulen oder Gesundheitsämtern ganz zu schweigen.
Der demografische Wandel wird die Probleme weiter verschärfen, denn der öffentliche Sektor in Deutschland steuert auf einen dramatischen Fachkräftemangel zu: Laut einer Untersuchung von McKinsey wird bis 2030 mehr als jeder dritte Beschäftigte von Bund, Ländern und Kommunen in den Ruhestand gehen. Da es zugleich an Nachwuchs mangelt, droht eine Personallücke von über 730.000 Beschäftigten.
Punktuelle Maßnahmen reichen nicht
Mit punktuellen Maßnahmen wird der Staat diese komplexen Herausforderungen nicht bewältigen können. Um die Arbeitsfähigkeit der Verwaltungen zu sichern, braucht es konsequente Digitalisierung, weitgehende Prozessautomatisierung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Nur mit neuer Software und Hardware allein ist es aber auch nicht getan.
Damit die öffentliche Verwaltung mit Hilfe dieser Instrumente erfolgreich modernisiert werden kann, müssen einige zentrale Voraussetzungen erfüllt sein:
- Erstens ist allem voran politische Führung gefragt. Einfach nur neue Ministerien zu schaffen, ist zu wenig. Die Hoffnung, mit neuer Bürokratie die alte überwinden zu können, wird sich nicht erfüllen. Die Entwicklung und konsequente Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie muss endlich dort landen, wo sie hingehört: auf dem Schreibtisch des Bundeskanzlers, jedes Bundesministers, Ministerpräsidenten, Regierungspräsidenten, Landrats und Bürgermeisters.
Sie müssen die Digitalisierung selbst in die Hand nehmen und nicht auf untergeordnete Bereiche abschieben. In Unternehmen tragen schließlich auch die Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden die Verantwortung für digitale Themen - schlicht und einfach deshalb, weil sie geschäftskritisch sind. Dieses Verständnis braucht es auch in Politik und Verwaltung.
- Zweitens ist eine offene Aufgabenkritik erforderlich. Die öffentliche Verwaltung benötigt eine durchgehende Digitalisierung: vom Anfang bis zum Ende eines Verwaltungsprozesses. Ein schlechter Prozess wird allerdings durch Digitalisierung nicht automatisch besser. Deshalb müssen vorher bestehende Prozesse, Zuständigkeiten und Abläufe auf den Prüfstand kommen und gegebenenfalls optimiert werden.
- Drittens muss die öffentliche Verwaltung mit einer erweiterten Perspektive auf IT schauen. Bisher kam es ihr vor allem auf Rechtskonformität und Wirtschaftlichkeit an. Das sind zweifellos wichtige Faktoren. Für eine erfolgreiche und nachhaltige Digitale Transformation ist aber ein weiterer Aspekt von zentraler Bedeutung: die Nutzerperspektive. Nicht nur für die Bürger und Unternehmen, sondern auch für die Mitarbeiter der Verwaltung selbst sollten IT-Systeme eine wirkliche Erleichterung darstellen und einfach zu bedienen sein.
Große gesellschaftliche Herausforderungen warten
Die Handlungs- und Zukunftsfähigkeit unseres Landes hängt stark von der Digitalisierung und Modernisierung der öffentlichen Hand ab. Nur mithilfe digitaler Technologien wird es gelingen, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu meistern: vom Klimawandel über die Energiewende bis zur Mobilitätskrise.
Von der Kandidatin und den beiden Kandidaten für das Amt des Bundeskanzlers war im bisherigen Wahlkampf leider nichts Substanzielles zum Thema Digitalisierung zu hören. Bleibt nur zu hoffen, dass sie den Masterplan für die digitale Zukunft unseres Landes trotzdem in der Schublade haben und nach der Wahl wirkliche Führung zeigen.