Auf unsere Zeit ist der von Friedrich Nietzsches 1889 geprägte Leitsatz „Was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ nicht mehr gut anwendbar. Schon gar nicht, wenn es um das Training der Widerstandsfähigkeit von Unternehmen geht. Denn Resilienz spielt nicht nur im individuellen Dasein eine Rolle, wenn sich der Einzelne persönlichen Stresssituationen gegenübersieht.
Ein Beitrag von Benjamin Brockmann, Geschäftsführer Operations1.
Auch Unternehmen brauchen resiliente Strukturen, also die Fähigkeit, Krisen und Chancen frühzeitig zu erkennen und negative, äußere Einflüsse, sogenannte Schocks, zu überstehen. Das beinhaltet auch, sich verändernde soziale, wirtschaftliche sowie politische Rahmenbedingungen auszuhalten und sich möglichst ohne Verluste an neue Umstände anpassen zu können.
Das funktioniert nicht ohne Zutun – ganz im Gegenteil: Unternehmen, die sich für die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft wappnen wollen, müssen Resilienz bewusst angehen und aktiv trainieren.
Ruhiger wird’s nicht mehr …
In den vergangenen Jahren haben die Belastungen durch extern zugefügte Schocks extrem zugenommen. Neben der Corona-Pandemie haben auch neue Gesetze und Verordnungen Unternehmen in Atem gehalten und die exorbitant angewachsene Cyberkriminalität und Lieferkettenengpässe in Angst und Schrecken versetzt.
Wer glaubt, dass das Gröbste geschafft sei und für die nächsten Jahre wieder Ruhe herrsche, der irrt gewaltig. Wir leben in einer Zeit sich beschleunigender Krisen, das Eis ist dünn und leider ist nach dem Einbruch schon wieder vor dem nächsten. Daher geht es bei Resilienz nicht um die Abwehr eines einmaligen K.O.-Schlags, sondern vielmehr um das kontinuierliche Einüben des Immer-Wieder-Aufstehens.
Einem Unternehmen gelingt das nur, wenn es aus Herausforderungen lernt, flexible Abwehrstrategien entwickelt und jederzeit gut für den Krisenfall vorbereitet ist. Das kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen, zum Beispiel indem bisherige Prozesse verändert werden.
Das Fundament der Unternehmensresilienz ist digital
Für die Industrie nimmt eine drohende Gefahr leider gerade erst so richtig an Fahrt auf: der Fachkräftemangel. Beklagt man diesen bereits heute allerorts, wird er sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Laut statistischem Bundesamt gehen bis 2036 etwa 12,9 Millionen Menschen der Babyboomer-Generation in Rente und mit ihnen jahrelang erarbeitetes Fachwissen. Wir spüren also heute schon die ersten Wellen des nächsten großen externen Schocks, der wie ein Tsunami über uns hereinzubrechen droht.
Besonders produzierende Unternehmen sind betroffen. Denn während Wissensarbeiter bereits von verstärkter Digitalisierung und den damit verbundenen Möglichkeiten des Wissenstransfers profitieren, wurden vielerorts operative Mitarbeitende - technisch betrachtet - in der Steinzeit stehen gelassen. In vielen Fabriken verbringt eine in Summe schwindende Belegschaft viel zu viel Zeit mit repetitiven, nicht wertschöpfenden und wenig sinnstiftenden Tätigkeiten.
Unserer Connected-Work-Studie zufolge, die wir im November 2022 veröffentlicht haben, sehen Mitarbeitende die aufwändige Erstellung und Aktualisierung von Dokumenten (44 %), Datenbeschaffung, Interpretationsaufwand und Archivierung (34 %) sowie nicht-wertschöpfende Tätigkeiten wie manueller Datentransfer (29 %) als die drei größten Problemstellungen. Diese fehlende Digitalisierung und Automatisierung zeitraubender Standardarbeiten führt zu Unzufriedenheit und abnehmender Produktivität.
Laut einer Studie von Campana und Schott in Zusammenarbeit mit der TU Darmstadt wünschen sich Mitarbeitende heute nachweislich eine Vereinfachung und Effizienzsteigerung ihrer Arbeitsprozesse durch konsequente Digitalisierung. Digitalisiert man nicht, fühlt sich Fachpersonal schnell nicht wertgeschätzt und tendiert dazu, das Unternehmen zu verlassen. Unternehmen, die hier nicht wachsam sind, verlieren Kompetenzen, die sie ohne weiteres nicht mehr nachbesetzt bekommen.
Vernetzung als Heilmittel
Konkret bedeutet das, dass Unternehmen ihr Möglichstes tun müssen, um Mitarbeitende und deren Wissen im Unternehmen zu halten und für Nachwuchskräfte zu speichern. Denn digital gesichert bildet dieses Wissen die beste Waffe gegen den Fachkräftemangel. Connected Worker Plattformen setzen genau hier an, indem sie den vorhandenen Wissenschatz eines Betriebs zentral in der Cloud speichern und über digitale Bedienoberflächen an den Maschinen oder über mobile Endgeräte zur Verfügung stellen.
Wissen kann so auch aufbereitet, zum Beispiel in Form von Videos, abgerufen werden. Dank einfacher, bildlicher Erklärungen wird keine Sprachausgabe benötigt und eventuelle Sprachbarrieren von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund können überbrückt werden. Auch beim Onboarding-Prozess profitieren Unternehmen von einer digitalen Strategie. Häufig werden Mitarbeitende angelernt, indem sie mit erfahrenem Fachpersonal mitlaufen.
Durch die Bereitstellung von intuitiv verständlichem Wissen sind neue Mitarbeitende schneller produktiv und erfahrene Mitarbeitende werden zusätzlich entlastet. Dadurch kann ihnen geholfen werden, sich auf wichtige Aufgaben wie den Prüfprozess von Maschinenteilen zu konzentrieren und nicht etwa auf die Suche nach Informationen oder dem Kopieren von Daten.
Anstelle des mitarbeiterabhängigen Wissens rückt so die zentrale, gut strukturierte Organisation von fachlicher Expertise in den Vordergrund, welche die Produktionsressourcen „Maschine“, „Mitarbeitende“ und „Information“ agil und wertschöpfend miteinander verknüpft. Durch diese Art der Wissensorganisation ist sichergestellt, dass Wissen nicht veraltet und jederzeit zugänglich ist.
Das Zusammenspiel von Resilienz und Connected Worker Plattformen ermöglicht Unternehmen den Schritt zu einer agilen, schlanken und zukunftssicheren Produktion, die dadurch extrem flexibel und hoch resilient ist. Auf diese Weise kann die Fabrik schneller auf Veränderungen reagieren und dadurch die Produktivität und die Rentabilität steigern.
Fazit: Den Kopf nicht in den Sand stecken
Industrielle Unternehmen, die mit der Zeit gehen und auch zukünftig wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sich jetzt den gebotenen Herausforderungen stellen und ihre operativen Mitarbeitenden mit durchdachten digitalen Lösungen unterstützen und entlasten. Mehr digitale Teilhabe und die Bereitstellung von Cloud-basierten Arbeitsumfeldern erhöht die Attraktivität eines Unternehmens und steigert die Bindung der Mitarbeitenden.
Eine Sicherung der Arbeitsplätze und Eingrenzung von Fluktuation steigert die Resilienz eines jeden Unternehmens. Denn laut Fraunhofer-Präsident Prof. Reimund Neugebauer, sind „Souveränität und Resilienz in zentralen, strategisch wichtigen Technologiebereichen […] essentielle Eckpfeiler, um die Versorgung mit wichtigen Gütern, die Stabilität von Lieferketten und damit die Innovationsfähigkeit deutscher Unternehmen zu sichern.“