Länder wie die USA und China gelten als Spitzenreiter in Sachen Künstliche Intelligenz. Und Deutschland? Hier wird KI oft lediglich als Prozessbeschleuniger oder Effizienzoptimierer betrachtet – und auch so eingesetzt. Dabei sind die KI-Optionen weitaus größer. Doch viel zu häufig haben Entscheider unnötige Berührungsängste und schöpfen die Innovationspotenziale für ihr Unternehmen nicht annähernd aus.
Von Ralf Bauer, Senior Vice President, verantwortlich für das Deutschlandgeschäft von CGI.
Künstliche Intelligenz ist längst praxistauglich geworden. Sie optimiert nicht nur bestehende Geschäftsmodelle, sie verändert sie auch und schafft gleichzeitig Raum für neue Wertschöpfungsmodelle. Das hat nicht selten einen enormen Druck auf das tradierte Geschäft zur Folge. Bestes Beispiel dafür ist der Trend weg vom Produktverkauf hin zu Service-Abonnements, von „Mobility-as-a-Service“ bis hin zu „Druckluft-as-a-Service“.
Diese Erkenntnis scheint allerdings noch nicht ausreichend in den deutschen Chefetagen angekommen zu sein. Und der zielgerichtete Schritt in die Praxis ist sogar noch seltener zu sehen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Sie liegen meiner Erfahrung nach in einer Mischung aus Abwarten, Silodenken, Personalmangel, fehlendem Change Management und unzureichendem KI-Know-how oder schlicht in dem Glauben, ein zu großes Risiko einzugehen.
Aktuell wird KI in vielen deutschen Unternehmen vor allem von KI-Experten getrieben. Das aber ist zu kurz gedacht, denn was häufig fehlt, ist die Transformation von KI ins Business. Und dafür ist nicht die IT-Abteilung verantwortlich, sondern federführend die Unternehmensleitung. Es mangelt daher in den meisten Betrieben noch an einer Strategie, die über den KI-Tellerrand hinausblickt, die Chancen und Risiken analysiert und daraus zukunftsfähige Konzepte für die KI-Transformation entwickelt.
Klassische Fragen sind hier: Wie stark wird mein bisheriges Geschäftsmodell disruptiert? Welche Rollen und Dienstleistungen fallen vielleicht weg? Welche neuen Geschäftschancen können sich im Gegenzug neu ergeben und das eigene Unternehmen vom Wettbewerb absetzen. Gerade im Dienstleistungs- und Servicebereich wird KI zukünftig nicht nur menschliche Leistungen beschleunigen, sondern sogar ablösen.
In der IT besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass Entwicklungs- und Testleistungen in den kommenden Jahren einer disruptiven Veränderung unterliegen, im juristischen Bereich werden viele zeitintensive Rechercheleistungen potentiell wegfallen. Dies bedroht auch das Kerngeschäft. Aber Vermeidung ist hier keine Strategie!
Diese strategische Bewertung ist natürlich herausfordernder und auf den ersten Blick risikobehafteter, als weiter lediglich die technischen Effizienzsteigerungen in der KI-Strategie zu betrachten. Kritisch wird es aber dann, wenn plötzlich die Weichen bei den Wettbewerbern gestellt werden und der eigene Zug plötzlich auf dem Abstellgleis landet. Es geht also darum, selbst die Weichen für eine Zukunft zu stellen, die von KI als Schlüsseltechnologie geprägt sein wird.
Und diese Zukunft hat bereits begonnen. Also sollte dringend gegengesteuert werden. Doch wie soll das angesichts der beschriebenen KI-Perspektiven in den Chefetagen überhaupt gehen? Durch Lernen und den Mut zur Veränderung! Führungskräfte haben ihre jetzige Expertise auch irgendwann einmal erlernt. Sie waren offensichtlich gut und erfolgreich darin und sie hatten wahrscheinlich exzellente Lernumgebungen, von denen sie profitiert haben.
Nimmt man dies als Blaupause, dann sind gute Vorbereitung und professionelle Unterstützung das A und O auch bei der Entwicklung einer tragfähigen KI-Vision und -Mission. Dafür werden exzellente Challenger als Sparringspartner gebraucht. Sie vermitteln erstens den unabhängigen Blick von außen auf ein Unternehmen und sein Wettbewerbsumfeld, in dem es sich bewegt.
Zusätzlich bringen sie ihre Expertise ein, Künstliche Intelligenz und Business-Szenarien sinnvoll miteinander zu verknüpfen. Dabei ist die Analyse des tatsächlichen KI-Reifegrads eines Unternehmens, der sogenannte Readiness Check, der erste logische Schritt. Er bietet die Grundlage dafür, in den anschließenden Strategie-Assessments gemeinsam tragfähige Ideen und Konzepte zu entwickeln, die von dem Unternehmen auch umgesetzt werden können.
Darauf aufbauend werden dann schnell die ersten konkreten Projekte auf den Weg gebracht. Dabei ist es wichtig, die sogenannten „Low hanging fruits“ zu identifizieren, also übersichtliche Use Cases mit hohen Erfolgsaussichten, um so rasch die ersten eigenen KI-Früchte zu ernten. Sie sind zudem ein wichtiger Motivationsfaktor bei der weiteren Umsetzung der gemeinsam entwickelten KI-Strategie.
Klar ist: Ohne KI werden wir deutlich langsamer die aktuell drängenden Probleme wie Fachkräftemangel, Umweltbelastungen oder Klimawandel lösen und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft insgesamt sichern können. Deshalb gibt es keine Alternative zum kreativen, produktiven und verantwortungsbewussten Umgang mit KI. Für Führungskräfte in deutschen Unternehmen, aber auch in Institutionen und Behörden ist es höchste Zeit, sich dieser Aufgabe zu stellen.