Programmiersprachen sind mehr als nur ein Werkzeug für Entwickler. Sie verkörpern lebendige Communities und Ökosysteme, messen sich in Beliebtheits- und Nutzungsumfragen wie dem Tiobe-Index. Aber auch theatralische Abgesänge auf einzelne Sprachen, die über das bevorstehende Ende und den Absturz in die Bedeutungslosigkeit philosophieren, gehören längst zum Alltag.
Von Nadine Riederer, CEO bei Avision.
In diese Kerbe will dieser Kommentar nicht schlagen. Ganz im Gegenteil, denn anstatt endlose Diskussionen in der Entwickler-Welt über den Auf- und Abstieg einzelner Sprachen zu führen, sollten wir lieber einen Blick auf die Realität werfen. Hier zeigt sich, dass zwischen all den Trends, Hypes und vermeintlichem Aussterben sehr viel mehr Sprachen überleben und einen Zweck erfüllen, als es oberflächlich betrachtet den Anschein macht.
Außerdem wird deutlich, dass sich Programmiersprachen nicht einfach als überflüssig oder sogar für tot erklären lassen – jedenfalls nach unserem heutigen Stand. Vielmehr werden sie kompatibler zueinander und finden spezialisierte Anwendungsfälle.
Das aktuell unangefochtene Python hat seine Erfolgsgeschichte mit dem Aufkommen von KI, Data Science und Machine Learning erfahren – und ist damit direkt auf die Überholspur gewechselt. Angesichts dieses kometenhaften Aufstiegs gerät schnell in Vergessenheit, dass die Sprache bereits seit 1991 existiert und über Jahrzehnte keine ernsthafte Rolle in der IT-Welt spielte. Heute steht sie ganz oben auf dem Treppchen und ein Ende des Höhenflugs ist nicht in Sicht.
Müssen wir deshalb ältere Sprachen in den Ruhestand schicken? Noch lange nicht, wie das Beispiel C++ immer wieder zeigt: Seit Jahren wird der objektorientierten Sprache das endgültige Aus prophezeit, doch die zahlreichen Anwendungsfälle, die Effizienz und die Vielseitigkeit sorgen dafür, dass sich das Anfang der 1980er Jahre entwickelte C++ hartnäckig in den oberen Bereichen der Indizes hält.
Programmiersprachen können nicht wegdiskutiert werden, der Markt und die jeweiligen Communities haben letztendlich doch den größeren Einfluss als die Kommentarsektion im Internet. Entscheidend sind nicht zuletzt auch die weit verbreiteten Legacy-Anwendungen, in deren Tiefen noch ganz andere Antiquitäten ihren Dienst leisten.
Die weiterhin stattfindende Delphi-Konferenz wird das bestätigen können. Dennoch hat das Aufkommen neuer Technologien, insbesondere der KI, einen großen Einfluss darauf, welche Sprachen wie viel Aufmerksamkeit erhalten und welche neuen Generationen von Programmierern an den Universitäten studieren. Was bedeutet das für „Oldies“ wie Java, C# oder C?
Über eine digitale Glaskugel verfügt natürlich niemand, ein Blick auf die historische Entwicklung zeigt allerdings, dass auch eine jahrelange Co-Existenz einer großen Anzahl an Sprachen gang und gäbe ist. Auch wenn Python in KI-begeisterten Zeiten weiterhin das Maß der Dinge sein wird, Java, C++ und Konsorten werden uns noch lange erhalten bleiben – weil der Use Case vorhanden ist und ganze Entwickler-Generationen nicht von heute auf morgen ihre Passion aufgeben.
Noch weiter in die Zukunft gedacht stellt sich aber dennoch die Frage, ob unsere heutige Vorstellung von dem Konzept Programmiersprache langfristig Bestand haben wird. Mit der Weiterentwicklung von KI-Copiloten und generativen Modellen als Dolmetscher für natürliche Sprache zu Assembler wäre eine wirkliche Zäsur gar nicht unwahrscheinlich.
Warum sollte KI eines Tages nicht direkt in Assembler kompilieren und nicht mehr den Umweg über eine Sprache wie Python oder Java gehen? Vielleicht stellt sich deswegen auf lange Sicht eher die Frage, ob Programmiersprachen, wie wir sie heute kennen, in der Zukunft generell abgelöst werden. Bis dahin werden noch viele Zeilen Code kompiliert – in Python, in Java, in C++ und ja, auch in Delphi.